Lieb und teuer Hamburg, 2002-08-26 (Der Spiegel Nr. 35/2002) Von Björn Finke
Die Deutschen fangen an, den Euro zu mögen zumindest die ausländischen Münzen.
Normalerweise zieht sein Stand gesetztere Kundschaft an: Ältere Herren, die seine Exponate kritisch unter die mitgebrachte Lupe nehmen. Doch beim Altstadtfest in Salzgitter sah sich Münzhändler Hartmut Schoenawa plötzlich von Kindern und Jugendlichen umringt. Dabei lagen auf dem Tablett keine historischen Raritäten, sondern ganz gewöhnliche Euro-Münzen aus dem Ausland.
"Das war unglaublich", sagt der Numismatiker aus Werlaburgdorf, nebenbei Geschäftsführer des Berufsverbandes des Deutschen Münzenfachhandels. "Die Euros sind weggegangen wie nichts."
Die Vielfalt der einst viel geschmähten Währung verwandelt die Deutschen allmählich in ein Volk von Münz-Jägern und -Sammlern. Schulkinder tauschen in der großen Pause und fachsimpeln über die verschiedenen Motive auf den Rückseiten der Münzen. Wer noch immer die Preiserhöhungen beim Lieblingsitaliener beklagt, reagiert eu(ro)phorisch auf eine römische Zehn-Cent-Münze in der Brieftasche.
"Die Euro-Einführung hat uns einen Riesenschub gegeben", schwärmt Albert Raff, Präsident der Deutschen Numismatischen Gesellschaft. Die Zahl der Mitglieder in den Vereinen wachse drastisch.
Auch Händler und Hersteller von Sammelhilfen frohlocken: "In der Branche herrscht Goldgräberstimmung", sagt Hans G. Lindner, Geschäftsführer und Mitinhaber der Lindner-Falzlos GmbH aus Schömberg. Das Unternehmen produziert und vertreibt Sammlerutensilien. "Die Leute haben uns das Lager leergekauft", sagt Lindner.
Stephan Grünewald macht der Branche Hoffnung auf einen langfristigen Euro-Effekt. Der Psychologe ist Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts Rheingold in Köln. Die Forscher versuchten, den Euro-Gefühlen der Deutschen auf die Spur zu kommen. Grünewalds Fazit: "Die Liebe der Deutschen zur ausländischen Euro-Münze ist keine bloße Laune, sondern tiefenpsychologisch begründet." Wer ausländische Euros in der Brieftasche oder im Album hat, zeige sich und anderen, dass sein persönlicher Horizont nicht am Gartenzaun endet, so die skurrile Analyse.
Der Euro ist den Leuten nicht nur lieb, sondern auch teuer: "Die hohen Preise von seltenen Euro-Münzen haben die Sammelleidenschaft weiter angefacht", sagt Wolfgang Erzinger, Herausgeber des "Deutschen Münzen Magazins". Tatsächlich wird für Geldstücke aus dem Vatikan, aus San Marino oder Monaco zurzeit ein Vielfaches des Nennwertes gezahlt.
Hobby-Sammler brauchen jedoch nicht darauf hoffen, solche Stücke je im Supermarkt mit dem Wechselgeld in die Finger zu bekommen. Erzinger ist sich sicher: "Die sind direkt an Händler und Profi-Sammler gegangen."
Original Source |