Ein Leben für das € Hamburg, 1999-04-01 (Die Zeit, Nr. 14/1999) Von Roland Kirbach
Wie der Euro zu seinem Symbol kam
Arthur Eisenmenger ist so alt, daß er nicht nur mit seinem Berufsleben, sondern auch schon fast mit seinem Pensionärsdasein abgeschlossen hatte. Er könne nicht mehr reisen, klagt er, das Denken und das Sprechen machen sichtlich Mühe. Jeden Tag geht er um halb acht ins Bett. Eisenmenger ist 84 Jahre alt, und 25 Jahre ist es schon her, daß er aus dem Beruf ausschied. In einer Luxemburger EU-Behörde mit dem schönen Namen Amt für amtliche Veröffentlichungen leitete er einst die Grafikabteilung.
Vor rund zwei Jahren indes ist noch einmal mächtig Leben in Eisenmengers Glieder gefahren. Nun wünscht er sich, er wäre noch jünger und rüstiger, um seinen Ruhm so richtig zu genießen. So wie jetzt saß Eisenmenger in seinem wuchtigen blauen Cordsessel im Wohnzimmer des riesigen Einfamilienhauses, das er mit seiner Frau bewohnt, und sah sich die Fernsehnachrichten an. In einem Bericht wurde der öffentlichkeit zum erstenmal das Symbol des Euro präsentiert. Eisenmenger traute seinen Augen nicht: "Plötzlich war das Zeichen riesengroß auf dem Bildschirm. Mein E!" Bis ins Detail identisch mit seinem Entwurf! Die Rundung, zu knapp drei Vierteln geschlossen, selbst die an den Seiten abgeschrägten Doppelstriche "haben sie gelassen".
Inzwischen ist das €-Symbol fast so bekannt wie das $-Zeichen, und genauso wird es bald weltweit zur Standardbelegung von Computer- und Schreibmaschinentastaturen gehören. Nur wer es entworfen hat, ist nie erwähnt worden.
Das wurmt Herrn Eisenmenger und auch seine Frau. Als das ZDF eine Sondersendung zum Euro mit Zuschauerbeteiligung ausstrahlte, erzählt Frau Eisenmenger, habe sie anrufen und der öffentlichkeit die Urheberschaft ihres Mannes mitteilen wollen, nur leider sei sie nicht durchgekommen.
Zumindest im Wohnort des Rentnerpaares, in Eislingen an der Fils, einer kleinen Industriestadt zwischen Stuttgart und Ulm, wissen es die Leute inzwischen. Dort haben es die Eisenmengers überall erzählt. Sein Hausarzt brüste sich inzwischen damit, daß der Erfinder des Euro-Symbols zu seinen Patienten zähle, grinst Eisenmenger. Irgendwann stand es in der Lokalzeitung, diese Woche hat sich das ZDF zum Besuch angesagt. So erfährt der alte Mann doch noch die Anerkennung, um die er sich bisher betrogen fühlte.
Nicht, daß er besonders publicitysüchtig wäre. Sein ganzes Berufsleben lang war er ein anonymer Diener der Kunst. Ganze Bücher habe er entworfen, erzählt er, ohne daß er als Urheber an irgendeiner Stelle genannt worden wäre, etwa die Schulbücher für die Europäischen Schulen, die die Sprößlinge der EU-Beamten besuchen. Auch berühmte Zeichen, den EU-Bürgern bestens vertraut, stammten aus seiner Feder - darunter das CE-Zeichen für Euronormen, das auf Gebrauchsgegenständen aller Art prangt, oder die blaue EU-Fahne mit dem weißen Sternenkranz. [EuroTracer's comment: According to the EU, the flag was officially adopted as emblem in 1986; unfortunately, the designer is not identified anywhere at the EU-website.]
Der Erfinder des € fühlt sich um seinen Ruhm betrogen
Mit dem € ist es jedoch etwas anderes, an dem hängt er, an dem hat er immer wieder gearbeitet. Das Problem ist nur: Wird man ihm glauben? Denn bei der EU findet sich niemand mehr, der sich noch an Arthur Eisenmenger erinnert. Der heutigen Leiterin des Amts für amtliche Veröffentlichungen ist sein Name kein Begriff. Es ist einfach zu lange her. Als Eisenmenger ausschied, hieß die EU noch EWG.
Ein letzter Zeuge allerdings ist noch am Leben - der frühere Kollege Julien Bozzola, inzwischen 71 Jahre alt und ebenfalls längst pensioniert. Er lebt noch immer in Luxemburg, wo er 13 Jahre lang im Zeichenbüro unter Eisenmenger arbeitete. Bozzola bestätigt: Das Euro-Symbol sieht dem Entwurf seines ehemaligen Vorgesetzten nicht nur ähnlich - nein, das n stamme zweifelsfrei von Eisenmenger. Schon 1960, als er anfing, sprudelt es aus ihm hervor, habe Eisenmenger "an dem E herumgebastelt". Und 1973, als Bozzola woandershin wechselte, habe Eisenmenger "immer noch an dem E herumgemodelt. Die ganze Zeit hat er an dem E herumgearbeitet. Das hängt auch mit seinem Namen zusammen, der fängt ja auch mit E an. Das E ist seine Leidenschaft."
Eisenmenger - Europa - Euro - €: So war es wohl.
War es wirklich so? Im Duden-Sonderband zum Euro, der im vergangenen Jahr erschien, wird eine andere Geschichte erzählt. "Das Zeichen für den Euro ... stellt eine Kombination aus dem griechischen Epsilon als Symbol für die Wiege der europäischen Zivilisation, dem Buchstaben E für Europa und den Parallelen (doppelter Querstrich) als Symbol für Stabilität dar", heißt es da. Wo diese Interpretation herstammt, vermag Petra Seeker, zuständige Redakteurin im Duden-Programmbereich Allgemeine Wissensbücher, nicht mehr zu sagen. Dabei ist die Antwort ganz leicht: Der Duden-Text ist wortgleich mit einer Pressemeldung aus dem April 1997, mit der die Europäische Kommission das Signet der öffentlichkeit vorstellte.
Wo das € all die Jahre bis dahin war, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Als er 1974 aus den Diensten des Amtes für amtliche Veröffentlichungen ausschied, erinnert sich Eisenmenger, habe er es mit einem ganzen Stapel anderer Entwürfe nach Brüssel geschickt. Dort, so vermutet er, muß es in irgendeiner Schublade geschlummert haben. Er habe immer gehofft, die EU werde es einmal als Symbol für Europa einführen. Genau betrachtet bestehe es ja auch aus einer Kombination von E und C - für European Community beziehungsweise Commission europÈenne. Als Zeichen für eine Währung habe er es jedenfalls nicht entworfen. In den siebziger Jahren habe ja auch noch niemand im Traum an eine gemeinsame europäische Währung gedacht.
Dazu mußten noch mehr als 20 Jahre vergehen. Auf dem EU-Gipfel im Dezember 1996 in Dublin kürten die Regierungschefs der EU das s zum Symbol für den Euro. Um es bekannt zu machen, "haben wir damals T-Shirts mit dem Zeichen an die Journalisten verteilt", erinnert sich Jean-Pierre Malivoir, bei der Europäischen Kommission in Brüssel zuständig für die PR-Arbeit rund um den Euro.
Danach sprach sich auch das Europäische Währungsinstitut für das Signet als EU-Währungszeichen aus; die Europäische Zentralbank "hatte nichts dagegen", erinnert sich ihr Sprecher Jukka Ahonen. Daraufhin leitete die Europäische Kommission "alle notwendigen Schritte für die Registrierung des Euro-Zeichens" ein.
Auch wie das Euro-Zeichen ausgewählt wurde, teilte die Kommission mit: Ungefähr 30 Entwürfe seien "intern angefertigt" worden. "Zehn davon wurden der öffentlichkeit zur Beurteilung vorgelegt. Aus der Umfrage gingen zwei Designs als klare Favoriten hervor. Aus diesen beiden wählten der Präsident der Kommission, Jacques Santer, und das für den Euro zuständige Kommissionsmitglied, Yves-Thibault de Silguy, das definitive Euro-Zeichen aus. So wurde das Euro-Zeichen aus der Taufe gehoben."
Demnach hat sich Eisenmengers alter Entwurf aus der Schublade gegen alle neu angefertigten durchgesetzt. Kann man also Arthur Eisenmenger als den Schöpfer des s betrachten?
"Es war ein Team aus vier Leuten", antwortet Jean-Pierre Malivoir, der damals den Wettbewerb organisierte. Er erhalte laufend Anfragen, wer denn das Euro-Symbol entworfen habe, erklärt Malivoir, und jeder bekomme dieselbe Antwort: "Wir können nicht sagen, wer der Designer ist. Es gibt keinen einzelnen, es war ein Team."
[EuroTracer's comment: A picture of Mr Eisenmenger is shown here.]
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