Münzen ohne Grenzen München, 2002-04-16 (SZ) Von Eva von Schaper
Wie Euros fremder Prägung langsam die Geldbeutel in Deutschland erobern und warum es in Holland schneller geht
"Bertha von Suttner ist die mobilste Frau Europas", sagt Dietrich Stoyan. Das Lob des Mathematikers von der Technischen Universität Freiberg verdankt die schon 1914 verstorbene Friedensnobelpreisträgerin der österreichischen 2-Euro-Münze: Deren Rückseite zeigt ein Porträt der Pazifistin. Stoyan hat sie seit Anfang Januar in ganz Deutschland aufgespürt. Aber auch König Carlos von Spanien, dem finnischen Löwen und Frankreichs Marianne lauert er auf. Vielmehr lässt er lauern: Bürger in ganz Deutschland meldeten ihm im Januar und Februar per E-Mail, wann sie das erste Mal eine ausländische Münze in ihrem Geldbeutel gefunden haben.
Die Daten der 8500 Euro-Sucher hat Stoyan nun statistisch aufbereitet. Zwar sind die Zahlen nicht repräsentativ: Wer per E-Mail kommuniziert, ist wahrscheinlich jünger und mobiler als der Durchschnitt. Dennoch ist es "ein einmaliger Prozess, den man hier betrachten kann", sagt Stoyan. Schließlich sei es äußert selten, dass sich der Beginn einer Vermischung exakt datieren lasse. Beim Um-sich-Greifen von Aids etwa oder der Einwanderung fremder Pflanzen konnte niemand den Startzeitpunkt bestimmen.
Obwohl die Ausbreitung von Krankheitserregern nicht direkt mit der Verbreitung von Münzen zu vergleichen ist schließlich vermehren sich diese nicht, wenn sie einen Geldbeutel "befallen" lassen sich die Methoden übertragen. Stoyan erklärt den Vorgang so: Die Münzen reisten zunächst in den Taschen von Urlaubern und Fernfahrern in die Großstädte. Dann erst wanderten sie langsam in die kleineren Städte und Dörfer. So stammen zurzeit erst vier bis fünf Prozent der Münzen in deutschen Geldbeuteln aus dem Ausland.
Beatrix in der Börse
Möglich wurde die Studie des Mathematikers, weil die acht Euro-Münzen je nach Herkunftsland unterschiedliche Rückseiten haben. Kathedralen, Löwen, Nationalwappen und gekrönte Häupter pressten die europäischen Prägeanstalten in die 51,6 Milliarden Rohlinge. Dabei hatten die Münzanstalten einzelner Länder unterschiedlich viel zu tun: Deutschland münzte fast ein Drittel aller Cent und Euro (17 Milliarden), gefolgt von Frankreich (8,1) und Spanien (7,0).
Österreich hat nur 1,8 Milliarden Münzen hergestellt. Trotzdem haben diese es am schnellsten nach Deutschland geschafft. "Das liegt an den Winterferien", sagt Stoyan. Wäre der Euro im Sommer eingeführt worden, lägen spanische und italienische Münzen vorn. Auch die Nähe zur nächsten Landesgrenze mache sich bemerkbar: So meldeten rund die Hälfte der teilnehmenden Süddeutschen zuerst Münzen mit Mozart, Edelweiß oder Bertha von Suttner auf ihrer Rückseite. Im Norden waren es höchstens 30 Prozent. Hier fand sich häufiger die niederländische Königin Beatrix in den Geldbörsen.
Dabei haben 1-Euro-Münzen die deutsche Grenze eher überquert als Cent-Stücke. Stoyan erklärt dies mit dem Verhalten von Reisenden: Auch er selbst gehe nur mit großen Münzen auf eine Reise. Aber auch einige Landesbanken halten die kleinen Stücke knapp: So hat Finnland hundertmal weniger 1- und 2-Cent-Münzen geprägt als Irland, obwohl beide Länder ähnlich viele Bewohner haben. Man wisse, dass die Iren kleine Münzen horten, sagte der Sprecher der Central Bank Of Ireland. Die Finnen runden dagegen traditionell auf den nächsten durch fünf teilbaren Betrag auf.
"Die Sammler verderben alles"
Diese Gewohnheiten werden die Verteilung der Münzen beeinflussen, die Stoyan in einem zweiten Projekt noch verfolgt. Theoretisch müsste sich das Geld in kleinen Ländern schneller vermischen als in Deutschland. So dürfte es noch Jahre dauern, bis der Geldbeutel einer deutschen und einer griechischen Hausfrau einen ähnlichen Inhalt habe. Das bestätigt ein Vergleich von Stoyans Daten mit einem Projekt der Uni Amsterdam. Während hier zu Lande jede zwanzigste Münze aus dem Ausland stammt, soll es im kleineren Holland fast jede achte sein, wie Ger Koole errechnet hat. Auch er hat dazu die Hilfe seiner Landsleute per E-Mail in Anspruch genommen.
"Das ist so, als ob Sie Milch in den Kaffee schütten", sagt er, "nur viel langsamer." In einem Jahr werde die Hälfte aller Münzen in Holland aus den Nachbarländern stammen, schätzt Koole. Und schon in zwei Jahren soll das Kleingeld insgesamt quasi Milchkaffee-farben sein, also in den Proportionen zirkulieren, in denen es geprägt wurde: Ein Drittel käme dann aus Deutschland. Bei seltenen Münzen jedoch werden Differenzen auftreten, wie sich schon zeigt: Einige Zähler horten das Kleingeld wochenlang, melden es erst dann und treiben so die Werte hoch. "Die sind einfach stolz auf ihre Funde", sagt Koole.
Tatsächlich verschwinden seltene Münzen aus dem Umlauf. So bezahlen Sammler für ein Vatikan-Starterkit schon rund 300 Euro. "Die Sammler verderben alles", schimpft Dietrich Stoyan. Dennoch muss er einräumen, dass auch er sich schon einen Cent aus Luxemburg bestellt hat. Um eine solche Münze zufällig zu bekommen, müsse man Jahre warten oder sogar Jahrzehnte. "Das erlebe ich vielleicht nicht mehr", rechtfertigt der 61-Jährige den Verstoß gegen den Geist seiner Studie. Original Source |